Die Jahre 2015 bis 2020
Bei einem Treffen des Vorläufers des Rates der Religionen, dem sogenannten „Jour fixe der Religionen“(2015-2017), der aus Vertretern der Fatih-Moschee, der jüdischen Gemeinde und der evang. und kath. Kirche bestand, entschied man im Januar 2017, diesen Kreis zu erweitern. Die Idee war, Religionsgemeinschaften zusammen zu bringen, von denen wir annahmen, dass sie Interesse an einem regelmäßigen Treffen haben, das den Dialog der Religionen fördern sollte.
Nach einigen Vorüberlegungen und der Sichtung verschiedener interreligiöser Initiativen in anderen deutschen Städten, orientierte man sich vor allem am Rat der Religionen in Frankfurt/Main. Auf Einladung der evangelischen und katholischen Kirche, die in Pforzheim in dieser Initiative derzeit eine koordinierende und moderierende Rolle spielen, trafen sich dann im November 2017 erstmals verschiedene Vertreter und Vertreterinnen der Pforzheimer Religionsgemeinschaften. In diesem und einem weiteren Treffen im Februar 2018 lernte man sich kennen und diskutierte die Zielrichtung und Grundregeln des Dialogs (siehe unten).
Nach Rücksprache mit den Gremien und Vorständen der jeweiligen Religionsgemeinschaften bzw. Konfessionen konnten am 8. Mai 2018 diese Grundregeln und die Ziele von den bisher Beteiligten unterschrieben werden, um damit den Rat der Religionen in Pforzheim zu begründen.
Rat der Religionen offen für Religionsgemeinschaften und Denominationen
Dieser Rat der Religionen ist kein Verein oder ein in sich geschlossener Club. Es ist eine Initiative, die offen ist für diejenigen Religionsgemeinschaften bzw. Denominationen, die sich diesen Zielen und Grundregeln anschließen möchten.
Der Rat der Religionen traf sich bisher im Stadtlabor (Nov. 17), bei der Ahmadiyya-Gemeinde (Feb. 18) und zur offiziellen Gründung bei den Aleviten in Eutingen (Mai 18). Es folgten Treffen bei den Methodisten (Herbst 18), in der Hochschule (Jan. 19), in der Schwarzwaldsängerhalle (Mai 2019), in der Synagoge (Okt. 2019) und in der Fatihmoschee (Jan. 2020).
Was waren die Inhalte dieser Treffen?
Begonnen wurde mit Kleingruppen. Muslime nehmen wahr, dass es ganz unterschiedliche „Sorten“ von Christ/innen gibt und umgekehrt. Manche haben erstmals hier die Gelegenheit gehabt, etwas intensiver mit Angehörigen anderer Religionen und Konfessionen ins Gespräch zu kommen. Dass andere Religionen „da sind“, weiß man, oft auch welche Religionen das sind, aber was sie denken und wie sie hier leben, wird zu entdecken sein.
Themen der weiteren Treffen waren der 23. Februar und seine Gestaltung (der Abschluss), die multireligiöse Kindertagesstätte, ein gemeinsames Fest, eine Ausstellung der Stiftung Weltethos zu den Weltreligionen in der Hochschule, die wir gerne begleiten würden, Verfahrensfragen im Miteinander und die Diskussion um die angeregten Lokalen Räte der Religionen und die damit verbundene stärkere Kooperation mit der Stadt. Außerdem die Frage nach Stellungnahmen zum Terror in der Welt, zum neu gegründeten Verein Bumie e.V. (Bündnis unabhängiger Muslime im Enzkreis und der Stadt) und dem Garten der Religionen in Karlsruhe. Nicht alle Themen und Ideen finden auch eine Weiterführung. Der Rat musste zB. Lernen, dass ein Fest, das für den 30.6.19 geplant war mangels koordinierter Beteiligung abgesagt werden musste.
Immer wieder sind auch Organisationsfragen Thema beim Rat. Wenige hätten gerne eine Satzung und Kasse. Die Mehrheit schätzt es aber, dass wir keine Vereinsstruktur haben, um mehr Zeit für andere Themen zu haben.
Wichtig ist auch das, was nicht in den Protokollen der Sitzungen steht: Durch diese Treffen sind Einladungen ausgesprochen worden, z.B. zu Chanukka (das gab es vorher schon, aber dass unterschiedliche Religionen die Chanukkakerzen anzünden dürfen, hat sich durch den Rat ergeben) oder den Festen in den Moscheen. Über eine Gruppe in sozialen Medien vergeht seither keine Woche ohne dass dort nicht jemand einen Artikel verbreitet (der im weitesten Sinn mit dem Dialog der Religionen zu tun hat), eine Info zu Veranstaltungen gibt, eine Absprache ermöglicht, Kommentare zu aktuellen Ereignissen in der Welt (Terror) oder in Pforzheim sammelt, Anteil gibt (und Solidarität erfährt) an persönlichen Ereignissen oder anderweitig den Rat im Gedächtnis sein lässt.
In der Sitzung im Oktober 19 gab es ein Gespräch mit der Integrationsbeauftragten der Stadt Pforzheim, außerdem intensive Diskussionen und Planungen zu Maßnahmen gegen den Antisemitismus. Die bisher koordinierenden Moderatoren des Rates (Dekanin Quincke und DekRef. Gfell) wurden offiziell zusammen mit Mirzeta Haug (Muslim. Mitarbeiterin der ev. Erwachsenenbildung) und Hasan Akbaba (Alevit. Gemeinde) als Sprecherteam gewählt.
Nach dem Gespräch mit Bürgermeister Fillbrunn, Dr. Max Bernlochner vom Sozialministerium, Lena Zoller von der Stiftung Weltethos, Dekanin Quincke und DekRef. Gfell im November 2019 wurde von der Stadt Pforzheim im Januar 2020 Anna-Lena Beilschmidt als Delegierte der Stadt Pforzheim für den Rat der Religionen benannt und wird künftig teilnehmen.
2020 begann man die erste Vollversammlung im Januar mit einem Austausch mit der christlichen Krankenhausseelsorge und dem Hospiz. Neben der Information über die Arbeitsweise dieser Einrichtungen wurden Vernetzungsmöglichkeiten und Kooperationen vereinbart. Das seit Jahren obligatorische Schlussgebet am Ende des 23. Februar wurde wieder vorbereitet.
2023/2024
Neben vielen Veranstaltungen in den folgenden Jahren hat sich der Rat der Religionen auch immer wieder mit Stellungnahmen zum Terror im Land und der Welt positioniert. Vor Ort stand er solidarisch zu Religionsgemeinschaften, die bedroht wurden. Eine Bombendrohung gegenüber der Fatih-Moschee (2020) gab den besorgniserregenden Anlass, sich durch die Teilnahme des Rates der Religionen beim nächsten Freitagsgebet ein gegenseitiges Zeichen der Solidarität und Verbundenheit zu geben. Nach den Morden in Halle initiierte der Rat eine Mahnwache mit ca. 400-500 Menschen. Dies alles war möglich, weil bisher der Grundsatz – sich von den politischen Entwicklungen in den Herkunftsländern nicht vom Dialog vor Ort abbringen zu lassen – nicht berührt wurde. Mit dem Angriff auf Israel durch die Hamas wollte sich der Rat wieder positionieren und aber dennoch den oben erwähnten Grundsatz nicht verletzen. Erst durch viele Gespräche und einer gemeinsamen Sitzung in der berichtet wurde, dass viele jüdische Mitbürger aus Angst den Sabbat nicht mehr in der Synagoge feiern, wurde den Mitgliedern klar, was vor Ort gebraucht wurde. Alle Mitglieder erklärten sich bereit, bereits am 14.10.2023 dem Sabbat in der Synagoge beizuwohnen, um auch hier Verbundenheit und Solidarität zu zeigen. Gemeinsam wurde eine Stellungnahme erarbeitet, die an diesem Tag vor Ort verlesen wurde. Dass diese Aktion, trotz des sehr komplexen Konfliktes, gelungen ist, hat Gründe: Das Miteinander wurde von gewachsenem Vertrauen, ehrlicher Zugewandtheit und einer gemeinsamen Sorge um die jüdischen Mitbürger vor Ort getragen. In dieser Gesprächsatmosphäre haben alle Meinungen, Gefühle und Sorgen einen Platz bekommen und das Bedürfnis, an der Seite der jüdischen Gemeinde zu stehen, war groß. Eine gemeinsame Aktion und Stellungnahme war dann nur noch eine logische Konsequenz. Ein gemeinsamer Besuch des Rates in der Synagoge anlässlich des Chanukka-Festes zeugte erneut von großer Solidarität. Zum Ende des Jahres 2023 wirkte der Rat bei der Friedenslichtfeier bei der Aktion „Friedenslicht aus Bethlehem“ mit.
Im Jahr 2024 beteiligte sich der Rat der Religionen – wie jedes Jahr seit der Gründung – am 23. Februar beim Gedenken an die Zerstörung der Stadt Pforzheim mit einem multireligiösen Friedensgebet. Ein gemeinsamer Auftritt vor der Pforzheimer Gesellschaft wird als ein großes Zeichen des friedlichen Miteinanders gesehen und findet große Anerkennung. Im Rahmen der Woche der Christlich-Jüdischen Zusammenarbeit gestalteten Mitglieder des Rates eine Podiumsdiskussion zum Thema „Grenzen überwinden“ – wie kann Zusammenleben nach dem 07. Oktober gelingen? Das Podiumsgespräch war geprägt von einer kontroversen Diskussion, aber auch vom Respekt der Gesprächspartner untereinander und der Bereitschaft unterschiedliche Meinungen nebeneinander stehen zu lassen, ohne sie bis zum Ende ausdiskutieren zu müssen.
Im Laufe des Jahres folgten einige gegenseitige Besuche zu Festlichkeiten: Die Fatih-Moschee lud zum Fastenbrechen und zum Kulturfest ein, die antiochenisch-orthodoxe Gemeinde zur Flusssegnung, die neuapostolische Gemeinde zum Festakt anlässlich des Kirchenneubaus. All diese Begegnungen tragen auch in diesem Jahr dazu bei, die Beziehungen untereinander zu pflegen und den interreligiösen Dialog – trotz der erschwerten Rahmenbedingungen – weiterhin voranzutreiben.